Ein besserer Ort für alle

Von Milena Österreicher · · 2024/Mar-Apr
© Ben Pipe / robertharding / picturedesk.com

Wie kann eine lebenswerte Stadt für alle Bewohner:innen aussehen? Dieser Frage widmen sich weltweit immer mehr feministische Städteplannerinnen.

Solange Frauen nachts nicht sicher durch die Stadt gehen können, gibt es keine Gleichberechtigung. Unsicher in der eigenen Stadt fühlen sich vor allem Mädchen, junge Frauen und LGBTIQ+-Personen. Von Delhi, Kairo, Kampala, Madrid bis Sydney machen darauf sogenannte Safety Walks aufmerksam. Sie werden in zwanzig Metropolen von der Kinderhilfsorganisation Plan International organisiert. Mädchen und junge Frauen gehen durch die Straßen ihrer Viertel und fotografieren Orte, die sie als gefährlich empfinden. Dies kann aufgrund fehlender Straßenbeleuchtung oder einer nicht abschließbaren öffentlichen Toilette sein. Die Orte werden dann auf einer digitalen Karte eingetragen. Die Daten sollen dabei helfen, Verbesserungen in den Städten anzustoßen.

Räumliche Ordnung. Eine Stadt spiegelt die jeweilige Gesellschaftsstruktur wider und gibt Auskunft darüber, wer sich wo frei bewegen kann. Städte wurden, und werden teils bis heute, von Architekten, Planern, Verkehrsexperten und Politikern geplant – von Männern für Männer. Feministische Stadtplanung hingegen rückt die Bedürfnisse und Lebensrealitäten von Frauen in den Fokus.

Beispiel Mobilität: Die Verkehrsplanung richtet sich oft nach dem Alltag Vollzeitarbeitender – nach wie vor oftmals Männer – und ihrer bevorzugten Verkehrsmittel und Fahrzeiten. Zu gängigen Büroarbeitszeiten ist die Taktung öffentlicher Verkehrsmittel besonders hoch. Doch Frauen bzw. generell jene, die Kinder betreuen, sind untertags öfters auf kurzen Strecken unterwegs. Auch für kurze Wege zum Kindergarten oder zu Ärzt:innen ist ein umfassendes Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln gefragt.

Mobilität ist mit sozialer Ungleichheit verschränkt. Die brasilianische Architektin Bethânia Boaventura erklärt in dem Artikel „Warum brauchen wir feministische Städte?“ im deutschen Goethe-Magazin, dass in Brasilien eingeschränkte Mobilität vor allem Schwarze Frauen aus der Peripherie betrifft, die mehrmals umsteigen und unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen müssen, um zu ihrem Arbeitsplatz zu kommen. Oft sind die Verkehrsmittel aber nicht leistbar, unzuverlässig und nicht sicher.

Weiße Frauen, die höheren sozialen Schichten angehörten, seien hingegen eher im Auto unterwegs und somit weniger Belästigung oder sexualisierter Gewalt in der Stadt ausgesetzt.

Geschlechtergerecht. Eine Verbesserung möchte auch Mariam Wagialla anstoßen. Mehr als zwanzig Jahre arbeitete sie in ihrem Heimatland Sudan als Stadtplanerin. In Österreich erlangte sie 2020 ihr Doktorat an der Universität für Bodenkultur Wien. „Hier lernte ich etwas über feministische Raumplanung und spürte, dass dies der Ansatz war, den ich suchte, um mir vorzustellen, wie Khartum in eine gerechte und nachhaltige Stadt verwandelt werden könnte“, sagt sie.

Wagialla führte zahlreiche Interviews mit Frauen aus verschiedenen Vierteln in Khartum, der sudanesischen Hauptstadt mit mehr als acht Millionen Einwohner:innen. Frauen in informellen Siedlungen am Rande der Stadt erzählten ihr von den Auswirkungen ineffizienter Wohnverhältnisse, des Mangels an öffentlichen Verkehrsmitteln und des mangelnden Zugangs zu Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, auf die Qualität ihres täglichen Lebens.

Sie sprachen auch über die Angst, bei der Rückkehr von der Arbeit oder der Schule nach Einbruch der Dunkelheit aufgrund der fehlenden Straßenbeleuchtung Gewalt ausgesetzt zu sein. „Dadurch werden ihnen einige Möglichkeiten zur Verbesserung ihres Lebens vorenthalten und sie bleiben in der Armut gefangen“, sagt die Stadtplanerin.

Frauen berichteten, dass in zentralen Vierteln mit besseren Bedingungen die Verkehrsstaus Kinder daran hindern, draußen zu spielen oder unbegleitet zur Schule zu gehen. So erhöhe sich die tägliche Belastung für sie und nimmt ihnen und ihren Kindern die Möglichkeit, ihre Freizeit im Freien zu verbringen. „Das bestätigt, dass Frauen und Männer unterschiedliche Erfahrungen in der Stadt machen und Frauen selbst keine homogene Gruppe sind“, fasst Wagialla zusammen.

Das Thema stieß in den sudanesischen Medien jedenfalls auf große Resonanz. Neben einem großen Interview in einer der Zeitungen sprach Wagialla auch in Webinaren und Seminaren über ihre Ergebnisse.

Raumaneignung. Daten getrennt nach Geschlechtern und Orten zu erheben und auszuwerten, ist ein zentraler Baustein feministischer Stadtplanung. „Wenn ich nicht die Gender-Brille aufsetze, bleibe ich auf einem Auge blind“, sagt auch die Wiener Stadtplanerin Eva Kail. Sie ist in der Baudirektion Wien für den Bereich Gender Planning verantwortlich und beschäftigt sich seit mehr als drei Jahrzehnten mit dem Thema.

Beispiel öffentliche Parks. Mädchen sind in ihrer Raumaneignung zurückhaltender und ziehen sich ab dem zehnten Lebensjahr aus den Parkanlagen und öffentlichen Spielflächen zurück. Das belegen diverse Studien. Abhilfe schaffen offene Sportplätze. Genauso wie gute Einsehbarkeit der Parks durch niedrige Hecken und ausreichend Beleuchtung, können sie Kail zufolge den Mädchenanteil befördern. Am Einsiedlerplatz in Wien wurde etwa aus dem geschlossenen Fußballkäfig ein offener V-förmiger Ballspielkäfig mit einem Sitzpodest in der Mitte, der von mehreren Gruppen gleichzeitig genutzt werden kann. Weitere geschlechtssensible Planungen folgten, viele unter aktiver Beteiligung von Mädchen.

Projekt La Favorita. Auch die argentinische Stadt Mendoza setzte 2020 ein ähnliches Projekt um. Frauen gaben bei einer Befragung an, sich auf dem zentralen Platz der informellen Siedlung La Favorita unsicher und unbehaglich zu fühlen.

Daraufhin wurden 2018 die Bedürfnisse der Anwohner:innen erhoben und Empfehlungen für die geschlechtergerechte Neugestaltung des Platzes erarbeitet. Dazu zählten etwa der Vorschlag eines multifunktionalen Platzes mit einem Landhockeyfeld, das neben Fußball für andere Sportarten genutzt werden kann sowie ein Amphitheater mit abgestuften Sitzplätzen für Gemeinschaftsveranstaltungen.

Feministische Stadtplanung kommt nicht nur Frauen zugute. Ein gut ausgeleuchteter Platz stärkt das allgemeine Sicherheitsgefühl. Barrierefreie Zugänge sind auch für Väter mit Kinderwägen oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität wichtig. Saubere, öffentliche Toiletten schätzen alle. Städte können strukturelle gesellschaftliche Probleme nicht beheben. Doch sie können einen Beitrag zu einem sicheren und lebenswerten Raum für alle Bewohner:innen leisten.

Milena Österreicher ist Chefredakteurin des MO-Magazins für Menschenrechte. Zudem schreibt sie als freie Journalistin über Feminismus, Menschenrechte und Migration.

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